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Warum Kinder früh Englisch lernen sollten

Von Steffen Fründt | Veröffentlicht am 07.07.2007 | Lesedauer: 6 Minuten

Ort zum Spielen, aber auch zum Lernen: Kind in der Kita

Quelle: DDP

Zweisprachige Kindergärten und Grundschulen sind Mangelware in Deutschland. Dabei kann man nicht früh genug mit einer Fremdsprache anfangen. Trotz fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse bremsen Vorurteile den Ausbau des Angebots – zum Schaden der Kinder.



Mit treuen Augen blickt der braune Dackel von der Bildtafel herab, die Vorschullehrerin Susanne Marti vor den vier bis sechs Jahre alten Kindern in die Höhe hält. „What's that“, fragt Frau Marti. 



Lisa versucht es: „A cat!“ Dann kommt die Fünfjährige doch noch drauf. „A dog! A dog!“ Beim anschließenden Tier-Memory sitzt die Vokabel schon beim Großteil der Klasse. Und am Ende der Stunde darf laut gesungen und gewiehert werden: „Old McDonald had a farm – Ee-I-Ee-I-O!“ So klingt die Bildungselite von morgen.



Die Leibniz-Schule in Elmshorn ist eine der wenigen Lehranstalten in Deutschland, die ihren Schülern nicht bloß ein, zwei Stunden Englisch in der Woche einpaukt, sondern einen komplett zweisprachigen Unterricht bietet. Mathematik, Sachunterricht – alles in englischer Sprache. „Englisch ist für die Kinder bei uns kein eigenes Fach“, sagt die aus der Schweiz stammende Lehrerin „Mrs Marti“, die auch auf dem Pausenhof ausschließlich Englisch mit den Schülern spricht. „Sie nehmen die Sprache spielerisch auf. Das funktioniert ganz selbstverständlich, unabhängig von der Sprachbegabung.“ Die Anfänge sind zunächst banal und unspektakulär. Doch gemessen am Status quo der meisten anderen Schulen gehören die Leibniz-Schüler schon frühzeitig zu einer privilegierten Minderheit im deutschen Bildungssystem: Sie lernen richtig Englisch.



Vor mittlerweile zwölf Jahren legte die Europäische Kommission das Ziel fest, dass alle EU-Bürger mindestens drei Sprachen auf einem „funktional angemessenen“ Niveau erlernen sollten. Zumindest die nachfolgenden Generationen sollten so für das Berufsleben in einem vereinten Europa und einer globalisierten Welt fit gemacht werden. Weitere Lippenbekenntnisse folgten: im Frühjahr 2003, als die 15 Staats- und Regierungschefs ergänzten, dass der EU-Nachwuchs künftig schon vom frühesten Kindesalter an zwei Fremdsprachen lernen sollte. Und im März desselben Jahres schrieb sich die deutsche Kultusministerkonferenz nach der Pisa- Schlappe frühzeitigen Sprachunterricht auf die Fahnen.



So weit die Theorie. „Tatsächlich geschehen ist nicht viel“, sagt Annette Lommel, Vorsitzende des Vereins für frühe Mehrsprachigkeit (FMKS) an Kindertageseinrichtungen und Schulen. „Bundesweit haben etwa 400 bis 500 Kindertagesstätten ein bilinguales Angebot – von 50000. Viele Eltern suchen händeringend nach einer zweisprachigen Kindertagesstätte für ihr Kind, setzen sich in ihrer Gemeinde für die Schaffung solcher Angebote ein – und laufen gegen Wände.“ Dabei halten Sprachwissenschaftler das Krippen- und Kitaalter für den idealen Zeitpunkt, um Kinder erstmals mit einer Fremdsprache in Kontakt zu bringen. Denn in diesem Alter steht im Gehirn ohnehin Sprachelernen auf dem Programm – die Muttersprache eben. „Kinder haben sehr weit offene kognitive Fenster. Wenn sie frühzeitig mit Fremdsprachen in Kontakt gebracht werden, können sie auf spielerische Weise erstaunliche Lernleistungen erbringen“, sagt Rita Franceschini, Rektorin der Freien Universität Bozen, die über Jahre bilinguale Projekte im Saarland und in Basel wissenschaftlich begleitete. „Natürlich können auch Erwachsene noch Vokabeln lernen. Doch für Phonetik, eine gute Aussprache, schließt sich das Fenster langsam. Je früher Kinder eine Fremdsprache erlernen, desto größer sind nachweislich ihre Chancen für eine annähernd muttersprachliche Aussprache.“



Die Theorie wird durch Erfolge in der Praxis bestätigt. Allerdings nur dort, wo zumeist durch individuelles Engagement überhaupt zweisprachige Angebote entstehen. Wie im hessischen Usingen, wo Jugendamtsleiter Reiner Greve quasi im Alleingang das Ziel erreichte, in allen Kindergärten der 15000-Einwohner-Stadt ein deutsch-englisches Angebot auf die Beine zu stellen. „Im Dezember 2004 starteten wir mit der ersten bilingualen Gruppe und haben seither Personalwechsel konsequent dazu genutzt, englisch sprechende Mitarbeiterinnen einzustellen“, so der Verwaltungsbeamte. „Inzwischen haben wir in jeder der sechs städtischen Kitas zweisprachige Gruppen, teilweise schon im Krippenalter. Mehrkosten sind der Stadt dadurch nicht entstanden.“



Englisch schon im Kindergarten – das stößt nicht nur auf Zustimmung. Müssen Kinder schon so früh auf Leistung getrimmt werden? Werden sie überfordert? Werden Kinder in bilingualen Kitas und Schulen durch die einseitige Förderung zu Sprachidioten mit Defiziten in Mathe oder Physik? Die Vorbehalte vieler Eltern sind mannigfaltig und verständlich. Aber unbegründet, so Linguistin Franceschini. „Tests bestätigen seit Jahren immer wieder, dass sich die Mehrsprachigkeit auch auf die allgemeinen Denk- und Lernleistungen positiv auswirkt. Die Kinder werden flexibler und kreativer im Denken, trauen sich mehr zu, schneiden nicht nur bei Fremdsprachenaufgaben, sondern auch zum Beispiel in Mathematik besser ab.“



Ähnlich erfreulich sind die Erfahrungen im Saarland, das aufgrund seiner Nähe zum Nachbarland Frankreich eine Sonderstellung einnimmt: In 25 Prozent aller Kitas wird hier Deutsch und Französisch gesprochen, die Mehrsprachigkeit wird mit einem Projekt der Europäischen Union gefördert.



„Anfängliche Bedenken von Eltern, die Kinder könnten überfordert werden, erwiesen sich als ohne Hand und Fuß. Wir nutzen einfach die natürliche Anlage zum Spracherwerb – darunter leidet sonst nichts“, sagt Eva Hammes-di Bernardo vom saarländischen Bildungsministerium. Es habe sich erwiesen, dass die Kinder so in Kita und Grundschule nicht nur ein hohes Französischniveau erreichen, sondern sich auch mit Englisch als dritter Sprache leichter tun. „Die frühe Mehrsprachigkeit führt zu einer größeren Synapsenbildung und Vernetzung im Gehirn, die Kognitionsprozesse fördert. Jede Sprache öffnet eine Tür zu einer weiteren.“ Allerdings lernten Kinder in jungen Jahren nicht nur besonders schnell, sagt Franceschini. „Sie vergessen auch sehr schnell. Deshalb bringt frühe Mehrsprachigkeit nur etwas, wenn die Sprache auch auf dem weiteren Schulweg intensiv gefördert wird.“ Damit ist es gerade in Deutschland nicht weit her. Auch in Usingen nicht, wie Reiner Greve einräumt: „Unser Problem ist nur, dass wir keine bilinguale Grundschule habe. Nun versuchen wir, zumindest über Arbeitsgemeinschaften die Sprache lebendig zu halten.“



Greves Misere ist symptomatisch für das deutsche Bildungssystem. Es gibt bundesweit so wenige zweisprachige Grundschulen, dass der FMKS sie auf seiner Webseite einzeln auflisten kann: Insgesamt zählt der Verein bundesweit nicht mehr als 134 Grundschulen mit echtem bilingualem Angebot – also mit Klassenzügen, in denen auch der Sachunterricht auf Englisch oder in einer anderen Fremdsprache erteilt wird. Dabei hebt das Grenzland Schleswig-Holstein mit seinen 47 zumeist dänischen Grundschulen noch den Bundesschnitt. Bildungspolitiker würden aber die Lage verkennen, wenn sie das vergleichsweise üppige Angebot in Berlin mit 25 bilingualen Primarstufenangeboten zugrunde legen. Die Wirklichkeit in den anderen Bundesländern ist erschreckend: Nordrhein-Westfalen hat laut FMKS gerade einmal fünf zweisprachige Grundschulen im Angebot, Baden-Württemberg drei, Niedersachsen nur eine einzige.



In der Fläche erschöpft sich die frühe Fremdsprachenförderung auf wöchentlich ein, zwei Stunden Englisch nach Lehrplan – je nach Bundesland ab der 1. oder 3. Klasse. Doch: „Das bringt fast gar nichts“, sagt der Kieler Linguist Henning Wode. Der Sprachwissenschaftler ist ein Vordenker des Immersionsunterrichts (siehe Interview), einer Lehrmethode, bei der Kinder in Kindergarten oder Grundschulunterricht spielerisch in eine Fremdsprache „eintauchen“ sollen. Die Kinder pauken anfangs weder Vokabeln noch Grammatik – und doch ist in den zunehmenden Immersionseinrichtungen zu beobachten, wie Kinder fast von allein ein so perfektes Englisch, Französisch oder Spanisch zu sprechen beginnen, dass ihre Eltern schon bald nicht mehr mithalten können.










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